Zur Mainzer Fastnacht: Die 4 Farben des Karnevals – eine Spurensuche

 

Seit 1837/38 begegnen uns die bekannten Fastnachtsfarben. Nicht nur Besucher, auch viele Mainzer fragen nach deren Herkunft und Bedeutung. Schlüssige Erklärungen sind nur aus Quellen der karnevalistischen Gründerzeit zu erwarten.

Erst im Laufe des 20. Jhdts. etablierte sich die heutige Reihenfolge mit rot, weiß, blau und gelb. Diese Zusammenstellung wird gern als umgekehrte französischen Trikolore gesehen. Gelb, die vierte Farbe, sei von den gelbweißen (=gold/silbernen) Vatikanfarben abzuleiten, damit die konfessionellen Mehrheitsverhältnisse im Mainz der Jahrhundertmitte spiegelnd.

Selbst wenn eine Trikolore als zweifelhafte Reminiszenz an die französische Zeit von 1797 bis 1814 gesehen werden möchte – warum die „falsche“ Farbenfolge? Der letzte Besatzungsfranzose hatte immerhin ein Vierteljahrhundert vor Beginn des organisierten Karnevals Mainz verlassen. Ein irgendwie gearteter Bezug zu den Franzosen oder deren Fahne läßt sich weder schlüssig begründen noch in Erklärungen, Artikeln und Vorträgen der umfangreichen Karnevalsliteratur des 19. Jhdts. finden – was bei einem Zusammenhang mit Sicherheit herausgestellt worden wäre. Gleiches gilt für die im Karnevalzusammenhang nicht nachvollziehbare „Gelb“-Erklärung.

Weitere, für passend gehaltene Deutungen (z. B. Farben des hessischen Mainz und nassauischen Wiesbaden) kommen ebenfalls ohne begründende Fakten aus.

Nach den Zeitzeugnissen waren die Fassenachtsfarben von Anfang an willkürlich und ständig wechselnd miteinander zu sehen, eine Festlegung über die vier Farben hinaus gab es nicht. Das ist auch an den Exponaten aus dem zweiten Drittel des 19. Jhdts. im Fastnachtsmuseum zu sehen: z. B. ein Handfächer in der Vitrine, die Fahne der Garde der Prinzessin von 1886, die frühen Narrenkappen usw. Besonders deutlich ergibt sich das aus Bilddrucken, Karnevalszeitungen, Vorträgen und sonstigen Zeugnissen zum närrischen Treiben. In den beispielhaften Publikationen von der „Mainzer Fastnachtschronik 1838“ über das „Rheinland“, „Mainzer Wochenblatt“ und „Mainzer Unterhaltungsblätter“ bis zur Darstellung der Mainzer Hofkapelle im Zug von 1860 sind die buntesten, willkürlichen Zusammenstellungen der 4 Farben – auch alleine oder paarig - zu sehen, ohne jede weitere Regel: eine feststehende Trikolore mit „Zusatzfarbe“ findet sich jedenfalls nicht...

Abbildungen der ersten Karnevalsitzungen, von Umzügen und sonstigen Veranstaltungen bestätigen das ständig wechselnde Bild. Der von der Stadt für Verdienste gern verliehene Leporello mit Darstellung des Fastnachtzuges von 1857 ist hierfür beispielhaft.

Die Fülle der Beispiele beweisen die ursprünglich regellosen, willkürlichen Farbzusammenstellungen. Die geläufigen Erklärungsversuche sind insofern nicht schlüssig.

Die karnevalistischen Figuren Hofnarr, Bajazz, Prinz Karneval und Hanswurst begegnen in den Anfangsjahrzehnten der organisierten Fastnacht ab 1837 überall, wobei dem Hanswurst offensichtlich eine hervorgehobene Rolle zukam: Die ersten Sitzungen wurden unter dem Bild „eines colossalen, sehr gut ausgeführten Hanswursten“ abgehalten („Rheinland“ 1838 Nr. 14). Daran erinnern auch die Gardinen im Fastnachtsmuseum.

 

Der Hanswurst war überall präsent, er bildete gewissermaßen das Leitmotiv („Hanswurst der Einzigste“ in der Comitèveröffentlichung vom 2. 1. 1843, s. „Mainzer Unterhaltungsblätter“). In der Zeitschrift „Das Rheinland“ vom 11. 2. 1838 wurde der „Carnaval in den Lappen und Farben des Hanswurst“ beschworen. Verdeutlichend ist der vierfarbbunte Hanswurst in der „Mainzer Fastnachtschronik v. 1838“ in einem Titelblatt mit entsprechender Erklärung abgebildet:

 

 

Aufschlußreich ist die Erklärung des hebräischen Titels unter Tab. 8 zu den Farben der Narrenkappe.

In der Fastnachtschronik wimmelt es von Hanswursten, die je nach ihrer Funktion beschrieben sind.

Entsprechend der Abbildung sind denn auch andere Karnevalsfiguren koloriert (neben der „Fastnachtschronik v. 1838“ s. auchMainzer Carneval-Almanach v. 1839“).

Im „Rheinland“ vom 23. 1. 1840 ist der „Hanswurst als Grundprinzip der Narrheit“ beschrieben, mit der vierfarbigen Kappe in Weiß, Gelb, Rot und Blau.

 Die Gestalt des Hanswursts, herkömmlich in Variationen mit Komödien, Fastnachtsspielen und Wanderbühnen ab dem 16. Jahrhundert überall im deutschen Sprachraum bekannt und verankert, erhielt im 18. Jhdts ihre gültige Ausprägung, war mit den typischen Farben auch in Mainz geläufig.

Wenn auch der „Hanswurst“ im Laufe der Jahrzehnte seine anfängliche Bedeutung verlor, so haben doch dessen Farben überdauert. Zur Vervollständigung: In der viele Jahrhunderte zu Mainz gehörenden Stadt Dieburg existiert seit 1838 ein Fastnachtsverein, der ebenfalls 4 Farben zeigt – mit eingewechseltem Grün statt Blau. Die Dieburger haben bisher auf Erklärungsversuche verzichtet...Es mag aber sein, daß wegen der räumlichen Nähe zum Kölner Einflußbereich das dortige Grün dem Mainzer Blau vorgezogen wurde - bei ansonsten identischem Farbenbild.

Mitte der 30er Jahre wurde ebenso wie das aus Düsseldorf importierte Helau auch der heute geläufige Farbenkanon üblich und verpflichtend. "Die Partei" hatte Interesse an einer einheitlicchen Regelung und forcierte diese.

 Somit erklärt sich offensichtlich und schlüssig die Herkunft der Mainzer Fastnachtsfarben vom „Hanswurst“ und deren beliebige Anordnung anhand der zahlreichen und überzeugenden schriftlichen und bildlichen Belege aus der Urzeit des hiesigen organisierten Karnevals. Für die Fassenachtsfreude ist das jedoch bedeutungslos!

 

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Eine zusätzliche Dokumentationen sind zu finden unter: 

 http://lithes.uni-graz.at/forschung.html